Rezension Die Lungenschwimmprobe
Verteidigung einer jungen Frau, die des Kindsmords bezichtigt wurde!
Titel: Die Lungenschwimmprobe
Autor: Toren Renberg
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Übersetzung: Ina Kronenberger, Karoline Hippe
Erscheinungstag: 23.10.2024
Seitenzahl: 704 Seiten
Stand alone
Inhalt:
Leipzig/Sachsen im Jahre 1681: die fünfzehnjährige Anna Voigt
steht vor Gericht, sie soll ihr neugeborenes Baby getötet haben. Die
Obrigkeit will sie verurteilt sehen, es droht ihr der Tod - wie vielen
anderen Mädchen und Frauen in dieser Zeit, die des gleichen Verbrechens
bezichtigt werden. Aber dieser Fall ist anders: Sie hat nicht nur einen
mächtigen Vater, der sich für sie einsetzt. Sondern es findet sich auch
ein Arzt, der etwas spektakulär Neues wagt und ein wissenschaftliches
Verfahren entwickelt, das in die Medizingeschichte als
"Lungenschwimmprobe" eingehen wird. Durch dieses soll nachgewiesen
werden, dass es tatsächlich eine Totgeburt war, wie Anna hartnäckig
versichert, und kein Mord. Kann sie gerettet werden? In
Renbergs brillantem historischen Roman folgen wir dieser Geschichte
durch die Augen verschiedener, unverwechselbarer, historisch belegter
Charaktere – da ist der Arzt, der sich der Wissenschaft verpflichtet
fühlt und das Neugeborene untersucht; da ist der kontroverse und
progressive Anwalt, der sich entscheidet, diesen nahezu aussichtslosen
Fall zu übernehmen; und da ist Annas Vater, ein wohlhabender,
einflußreicher Mann, der sich sofort auf die Seite seiner jungen Tochter
schlägt und alles daran setzt, damit ihr Gerechtigkeit widerfährt,
dessen Hass auf ihre Widersacher so groß ist, dass er sich schon bald
auf einen unerbittlichen Rachefeldzug begibt. Demgegenüber stehen die
Köchin aus seinem Haushalt, die gegen Anna aussagt – und vor allem der
erbarmungslose Ankläger, der das Mädchen durch grausame Folter zum
Geständnis bringen will. Inmitten all dessen befindet sich die blutjunge
Anna, verzweifelt und verängstigt, aber standhaft in ihrem Beharren
darauf, unschuldig zu sein.
Meinung:
Hier haben wir meiner Meinung nach ein ganz besonderes Werk. Ich bin über das Portal "Vorablesen" darauf gestoßen und obwohl man, bevor man die Bewerbung für ein Buch einreicht, erst die Leseprobe lesen muss, bestand sie hier nur aus 2 Seiten und dem Cover. Ich hatte also keine Ahnung auf was ich mich einlasse und was für ein Highlight hier auf mich wartet. Man muss aber auch dazu sagen, dass es kein Buch für jedermann ist. Aber dazu später!
Wir befinden uns im Jahre 1681 und damit mitten in der Zeit der Aufklärung und nach den zermürbenden Tagen des 30-jährigen Krieges. Die junge Anna Voigt wird dem Kindsmord angeklagt, behauptet aber fest, dass das Kind tot zur Welt kam und sie damit unschuldig ist. Jetzt kommt der strebsame Anwalt Christian Thomasius auf den Plan, der die Verteidigung Annas übernimmt. Er ist sehr zielstrebig und ehrgeizig und verbeißt sich so in den Fall, was für mich total faszinierend zu lesen ist. Auch der innovative Arzt Schreyer wird zur Autopsie beordert, um seine sehr belesene Meinung zum Fall kundzutun. Die Rivalitäten zwischen Annas Vater und dem Landesherren gipfeln mit dem allgemeinen Geplauder des Volkes in einen spannungsgeladenen Prozess. Im Großen und Ganzen lernen wir nicht viele Personen kennen, aber dafür sehr intensiv.
Der Roman ist verfasst wie ein Gerichtsprotokoll. Das bedeutet sehr lange Kapitel, eine Sprache aus der Zeit und damit viele Schachtelsätze und altmodische Formulierungen. Wir erfahren nur das, was in Protokollen überliefert wurde und dazu ein paar fiktive Fakten, wo der Autor sich sogar direkt an den Leser wendet. Man bekommt ein
gutes Gespür für den historischen Bewegungsraum der Figuren. Die
Dialoge und Marotten der Charaktere sprühen demgegenüber vor Leben und Details. Nicht nur die herausragende Recherchearbeit glänzt hier im Vordergrund, sondern auch das Gespür für die Zeit, die Emotionen der Beteiligten und der zähe Verlauf der Verhandlung. Das ist auch mein einziger Kritikpinkt. Ab der Mitte zieht es sich doch etwas und es treten ein paar Wiederholungen auf, wo man Durchhaltevermögen zeigen muss. Es gibt immer mal wieder Momente für die sich die Geduld auszahlt, wie zum Beispiel Gedicht, Märchen oder Mythen, die spielerisch in die Handlung gewoben wurden.
Am
Ende des Buches ist ein QR-Code bzw. ein Link, der zu einer Datei führt
in der die verwendete Sekundärliteratur, ein Namensverzeichnis
historischer Personen und Abbildungen zu finden sind. Angesichts der
Länge des Buches ist verständlich, weshalb der Verlag dies nicht mit in
den Roman aufgenommen hat und ich finde es hilfreich, dass ich so einen Blick auf die Quellen werfen konnte.Wobei eine Karte und ein Register noch Platz im Buch gefunden hätten.
Abschließend ist es ein einzigartiger Roman, der sehr sorgfältig und zeitaufwendig recherchiert wurde und mit
Fingerspitzengefühl und Herzblut geschrieben. Sehr zu empfehlen allen
die wirklich Interesse an der Zeit, dem Umschwung des Denkens und Gerichtsprozessen haben,
sonst könnte das Buch etwas langatmig werden.
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